Liebe Angehörige unserer Ermordeten, liebe Gäste aus Hanau, Halle, lieber Herr Höckmayr, Herr Efe, Familie Genc, Familie Satir, Herr Yurtseven, liebe Initiative für Mouhammed Lamine Drame, Initiative Oury Jalloh, Initiative Semra Ertan, liebe Aktive um das Gedenken von Corinna Tartarotti,
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dieter Reiter, liebe engagierte Mithelfer aus Moosach. Sehr geehrte Vertreter der Fachstelle für Demokratie, liebe Beratungsstelle Before, hier Anja und Matthias liebe Unterstützer aus der Initiative „München erinnern“ (Gabi, Anne, Pati, Marianne und alle weiteren Unterstützer), liebe „Omas“ gegen Rechts, liebe Mitglieder aus dem Fußballverein „1860 München“, Löwen gegen RECHTS, hier insbesondere Frau Elisabeth Mayer, lieber Alexander von Madhouse, Sehr geehrte Damen und Herren,
Mein Name ist Gisela Kollmann. Ich bin eine der betroffenen Angehörigen, deren Enkelkind am 22.7.2016 ermordet wurde.
Hiermit möchte ich mich beim OB Dieter Reiter herzlich für den Raum in der Dienerstraße Laden 13, bedanken.
Damit haben wir Angehörigen des OEZ-Anschlages, endlich die Möglichkeit, uns in einem geschütztem Rahmen zu treffen und über unsere Sorgen oder neue Ideen zu sprechen. Ich freue mich, dass unsere Wünsche für das heutige Gedenken zum ersten mal umfassend berücksichtigt wurden.
Ganz besonders freut mich, dass die Gräber unserer ermordeten Kinder und Angehörigen als Gedenkgräber geehrt werden. Ich bedanke mich hierfür aber auch bei allen Engagierten, die uns beim erkämpfen dieser Forderung zur Seite gestanden haben.
Großartig finde ich den Einsatz von „1860 gegen Rechts“, die mein Enkelkind in die Abteilung der Vereinsgeschichte aufgenommen haben. Dieser Ehrenplatz wäre die größte Freude für Guiliano gewesen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ein weiteres wichtiges Anliegen für uns ist der Umgang mit dem Tatort Mc Donald. Der Betreiber des Mc Donalds wurde vom OB Dieter Reiter gebeten, seinen Fast-Food-Laden an einen anderen Ort zu verlegen. Mc Donalds hat darauf geantwortet, dass sie grundsätzlich gegen Rassismus eingestellt sind, dass sie weltoffen sind und tolerant, aber auch ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das alle Maßnahmen ergriffen hat, um das Haus neu zu gestalten, als einen Ort der Begegnung für Menschen, gleich welcher Herkunft. Das heißt wohl keine Veränderung an diesem Ort.
Zwar hat der Betreiber erstmals den Laden zumindest während unseres Gedenkens geschlossen. Wir wünschen uns aber, dass der McDonald umzieht und wir endlich würdig an unsere Ermordeten Angehörigen gedenken können.
Es dürfen keine Abfallprodukte oder Essensreste den Platz verunstalten und die Würde unserer Toten beeinträchtigen.
Liebe Münchner und Münchnerinnen, ich möchte nochmals betonen, dass es sich bei diesem Anschlag nicht um einen Amoklauf, sondern um einen rechtsterroristischen Anschlag eines international vernetzten Täters gehandelt hat.
Das war kein Einzeltäter und kein Einzelfall!
Am 7. Dezember 2017 erfolgte aus dem Netzwerk des Münchner Attentäters ein rechter Anschlag auf eine Schule in New Mexico, USA. Zwei Menschen wurden aus rassistischen Motiven ermordet. Es frustriert mich sehr, wenn im bayerischen Landtag bei einer Sinti-Veranstaltung der Vizepräsident der Grünen in seiner Begrüßungsrede Orte wie Hanau und Halle erwähnt, den Anschlag am OEZ München aber verschweigt.
Darum ist es mir so wichtig Teil der Initiative „München erinnern“ zu sein. Gemeinsam machen wir immer wieder klar: Der Anschlag am OEZ war rechter Terror!
Wie wenig die Ermordung unserer Angehörigen in Deutschland bekannt ist, zeigt sich auch, wenn die Bundesinnenministerin Nancy Faeser in ihren Reden zu rechter Gewalt mit keinem einzigen Wort den Münchner OEZAnschlag erwähnt. Es ist, als wolle man diesen nicht hören oder die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit verhindern.
Wir fordern ausdrücklich, dass sowohl das Land Bayern als auch die Bundesrepublik Deutschland endlich akzeptiert, dass es sich um einen gezielten, rassistischen Terroranschlag handelte und diesen auch in der Öffentlichkeit zum Ausdruck bringt.
Es verwundert mich, dass sich unser bayerischer Innenminister Joachim Hermann gegen ein verschärftes Waffengesetz ausgesprochen hat. Es ist bekannt, dass Gewalttaten mit Waffen angestiegen sind. Was muss noch passieren?
Wissen Sie, die Angst habe ich bis heute nicht loswerden können, noch immer schaffe ich es nicht, mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren oder allein an Öffentliche Plätze zu gehen. Unsere Politiker und unsere Polizei soll sich schämen für all die Jahre die Sie uns im Stich gelassen haben!
Wir Hinterbliebenen wurden von der Polizei, der Stadtgesellschaft und den politisch Verantwortlichen viel zu lange im Stich gelassen.
Das hat sich erst vor einem Jahr geändert, weil wir als Angehörige darum gekämpft haben. Und wir kämpfen bis heute um unser Recht und Anerkennung.
Sehr geehrte Gäste, es hat sich in dem letzten Jahr viel getan. Wir Angehörige des Anschlags am OEZ sind näher zusammengerückt, die Stadt München geht auf unsere Wünsche ein, die meisten von uns sind langsam in der Lage, über ihren beziehungsweise unseren Verlust zu sprechen.
Aber es gibt auch Angehörige, die es bis heute nicht geschafft haben, in unsere Mitte zu kommen. Ich denke an die Mutter von Roberto, Carola Rafael oder an die Familie von Sabine. Auch wenn ihr heute nicht auf der Bühne stehen könnt, denken wir alle an Roberto und Sabine. Wir werden niemanden vergessen! Ich denke auch an all die Verletzten die diesen Anschlag überlebten. Und an die heldenhaften Ersthelfer, die Sie versorgten oder bis zum Schluss an der Seite unserer Liebsten waren, trotz der Gefahr. Ihr verdient jede Ehrung!
Ich danke Ihnen allen, dass Sie mit uns an diesem schwierigen Tag unserer Toten gedenken.
Meine Schlussworte will ich an meinen Enkel richten: Mein geliebter Guili, ich werde dich immer in meinem Herzen tragen und werde dich nie vergessen.
„Das ist die Geschichte von München. Aber nicht nur. Das ist auch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.“ (Hasan Leyla)
Was ist am 22. Juli 2016 passiert?
Am 22. Juli 2016 ermordete ein rechter, rassistischer Täter am und im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München Armela Segashi, Can Leyla, Dijamant Zabërgja, Guiliano Kollmann, Hüseyin Dayıcık, Roberto Rafael, Sabine S., Selçuk Kılıç und Sevda Dağ.
Über einen gefakten Facebook-Account hatte der Täter versucht, Jugendliche zu einem Treffen am Nachmittag des 22. Juli in den McDonalds gegenüber des OEZ einzuladen. Niemand war dieser Einladung gefolgt. Der Täter ging trotzdem in den McDonalds und erschoss dort fünf Jugendliche. Auf der Straße vor dem Restaurant und im OEZ ermordete er vier weitere Menschen. Fünf Menschen wurden durch Schüsse schwer verletzt.
Das OEZ, eine Shopping-Mall und ein beliebter Treffpunkt gerade für Jugendliche, wählte der Täter bewusst aus. Die Journalistin Nabila Abdel Aziz, die selbst in München Moosach, in der Nähe des Anschlagsortes, aufgewachsen ist, sagt über die Bedeutung des OEZ in ihrer Jugend: „Für uns war es damals ein Rückzugsraum, viele Menschen aus dem Viertel gehen dorthin, viele nicht-weiße Menschen, viele mit Migrationgeschichte. Es ist ein Ort, an dem man deutlich sieht, wie vielfältig unsere Gesellschaft ist.“
Nicht nur für viele Menschen im Viertel, die selbst von Rassismus betroffen sind, war sofort klar, dass die Tat gegen sie gerichtet war.
Auseinandersetzung um die Einordnung der Tat
Seine extrem rechte, rassistische Überzeugung brachte der Täter nicht zuletzt auch durch das Datum zum Ausdruck, an dem er den Anschlag verübte. Fünf Jahre zuvor, am 22. Juli 2011 hatte ein rassistischer Täter in der norwegischen Hauptstadt Oslo und auf der nahe gelegenen Insel Utøya insgesamt 77 Menschen, überwiegend Jugendliche, ermordet.
Indessen bezeichnete die Polizei, ohne die Ermittlungsergebnisse abzuwarten, schon unmittelbar nach dem Geschehen die Tat als einen Amoklauf. Diese Deutung erwies sich bis heute als äußerst wirkmächtig. Das politische – extrem rechte und rassistische – Motiv der Tat wurde somit lange ignoriert oder bagatellisiert. Dies trug entscheidend dazu bei, dass der Anschlag noch immer kaum erinnert wird und häufig unerwähnt bleibt, wenn über rechten Terror in Deutschland gesprochen wird. „Wenn angesichts der rassistischen Strukturen in der Gesellschaft und auch bei der Polizei bei einer solchen Tat von Amoklauf gesprochen wird, ist das ein Angriff auf unser Recht, hier friedlich zu leben“, sagt Samet Leyla, Cousin und Patenonkel von Can Leyla.
Zudem führte das Ausblenden des extrem rechten Hintergrunds der Tat dazu, dass entsprechende Ermittlungen nicht erfolgten – beispielsweise in Bezug auf die Gaming-Plattform, über die sich der Täter im extrem rechten Milieu vernetzte. Eine sorgfältige Ermittlung dieser Verbindungen hätte möglicherweise weitere Anschläge wie die in Halle und New Mexico verhindern können.
Erst nach über drei Jahren, im Oktober 2019 wurde der rechte, rassistische und antiziganistische Hintergrund der Tat am OEZ von staatlicher Seite anerkannt – obwohl und nur weil Betroffene und Angehörige von Anfang an dafür kämpften. Trotzdem ist der Anschlag auch in München kaum im öffentlichen Erinnern präsent.
Die Missachtung der Überlebenden und Angehörigen und ihrer Kämpfe
Die Missachtung der Wahrnehmungen und Bedürfnisse der Überlebenden und Angehörigen durch Behörden, aber auch durch große Teile der Gesellschaft begann schon unmittelbar nach der Tat. Das spiegelte sich nicht nur in der vorschnellen polizeilichen Kategorisierung des Anschlags als „Amoktat“, sondern kam vor allem auch darin zum Ausdruck, wie die Betroffenen in ihrem Schock und ihrer Trauer durch Polizei und Behörden behandelt wurden. Den Tatabend verbrachten sie stundenlang voller Angst mit verzweifelten Versuchen, Informationen über das Schicksal ihrer Angehörigen zu bekommen, die sie von der Polizei jedoch erst in den frühen Morgenstunden oder noch später erhielten. Mit der schrecklichen Nachricht wurden sie dann einfach allein gelassen.
„Die Polizei taugt nix“, sagt Gisela Kollmann, die Oma des ermordeten Guiliano Kollmann im Hinblick auf die Erfahrungen, die sie in der Folge des Anschlags machen musste. Die erste Frage, mit der sie und ihre Familie konfrontiert wurden, als ein Polizist sie „frech und abgebrüht“ über den Tod ihres Enkels informierte, lautete, was Guiliano eigentlich am OEZ gemacht habe. Auch in den folgenden Tagen warteten nicht nur die Kollmanns, sondern auch die Angehörigen aller weiteren Opfer vergeblich auf Mitgefühl, angemessene Anerkennung für ihre Trauer sowie professionelle Betreuung und Unterstützung durch Behörden und Politik.
In den Jahren nach dem Anschlag verbreitete sich in der Stadt eine „unerträgliche Stille“, so Cans Mutter Sibel Leyla, die bis heute anhalte. Eine breite politische und gesellschaftliche Solidarität mit den Betroffenen und ihren Kämpfen um Anerkennung, Aufklärung und Erinnerung blieb aus. Im öffentlichen Erinnern nicht nur in München fehlen bislang die Namen der Opfer und es fehlt das Wissen um das rechte, rassistische und antiziganistische Motiv des Anschlags. Das heißt auch, dass eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen, die diesen ermöglichten, ausbleibt.
Bisher fehlt auch die Solidarität der Münchner Stadtgesellschaft mit den Angehörigen und Überlebenden. „Wir wünschen uns, dass München auch jetzt noch – im Erinnern und Aufklären der Tat – zusammensteht wie es am 22.7.2016, in der Tatnacht zusammengestanden ist“, fordert Guilianos Vater Rudolf Kollmann.