Gülüstan Öztürk
Solingen

Hallo, ich bin Hatice Genç, die am 29. Mai 1993 zwei Töchter verloren hat. Die ist für mich sehr, sehr wichtig, sie ist sehr, sehr schmerzhaft, sie beinhaltet alles. Ich bin selbst dorthin gekommen, als ich zum ersten Mal kam, ich habe meine Kinder dort geboren. Deshalb symbolisiert diese Untere Wernerstraße, dieser Ort, den unvorstellbaren Schmerz, den meine Familie erlebt hat. Es ist auch ein Denkmal, das zeigt, dass wir uns gegen Hass und Rassismus wehren.

Die fünf Bäume dort sind sehr wichtig für mich, aber ich hoffe, dass der Ort noch wichtiger wird. Ich würde mir wünschen, dass hier ein Museum oder eine Gedenkstätte entsteht, die meine Kinder und ihre Geschichte erzählt. Es könnte ein Raum für Bildung und Austausch sein, eine Ausstellung über die Folgen des Rassismus und wie wir ihn überwinden können. Es könnte auch Veranstaltungen geben, die Frieden und Vielfalt fördern.

Für mich drückt sich darin also auch ein großer Schmerz aus, einerseits Traurigkeit. Diese Untere Wernerstraße enthält für mich alles. Wenn ich dort hingehe, fühle ich mich traurig, ich weine, ich rede dort mit mir selbst, so viel, wie ich will.

Deshalb bedeutet mir das sehr viel. Dann gibt es einen Park hinter unserem Haus, in dem meine Kinder sehr gerne gespielt haben. Wir sind immer in diesen Park gegangen, weil die Kinder ihn so sehr liebten. Wir haben mit den Kindern gespielt, sind Seil gesprungen, auf den Seilen geklettert. Wir waren immer mit den Kindern dort, um sie aufzumuntern. Das ist ein Ort, an dem ich mich meinen Gefühlen stelle. Manchmal finde ich Frieden, und manchmal finde ich die Kraft, für eine bessere Welt im Namen meiner Kinder zu kämpfen. Deshalb ist jeder Ort, an den meine Kinder gegangen sind, eine Erinnerung für mich.

Damals war Hülya noch nicht im Kindergarten. Als Hülya in den Kindergarten kam, war dies ein Ort, an dem sie eine sehr fröhliche Beziehung zu ihren Freunden und zu den Erziehern aufbauen konnte, wo sie einen Schritt in den Austausch und in die Gemeinschaft machte. Es war ein sicherer Hafen, voller Freude und Glück. Sie kam sehr fröhlich zurück, erzählte ihre Geschichten, erzählte, was sie taten. Diese Momente sind jetzt sowohl unbezahlbar als auch sehr schmerzhaft. Denn sie erinnern uns daran, was wir verloren haben. Deshalb sind sie für mich sehr wertvoll.

Dann wurde Hülya eingeschult. Sie war sehr fröhlich, wissbegierig und ging gern zur Schule. Und sie war sehr glücklich mit ihrer Lehrerin und ihren Freunden. Ich erinnere mich daran, wie stolz sie war, wenn sie etwas Neues lernte. Sie war sehr glücklich, wenn sie zur Schule ging und ihre Hausaufgaben machte. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass sie ihre Hausaufgaben mit Begeisterung machte, wenn sie nach Hause kam. Sie war ein sehr schönes, fröhliches Kind. Ich weiß also, wie sehr sie das Leben liebte und wie viel Freude sie anderen brachte, wie wichtig das für sie war.

Ihre Geschichte sollte uns sogar daran erinnern, dass jedes Kind das Recht haben sollte, zu lernen und in Frieden und Sicherheit zu leben. Wir sollten uns also wirklich um die Zukunft unserer Kinder bemühen und für sie arbeiten. Wir bemühen uns bereits, ihnen eine friedliche Welt zu hinterlassen. Deshalb schmerzt mein Herz so sehr. Manchmal habe ich Bilder mit meinen Kindern vor mir. Meine Töchter, ihr seid eine Wunde, in die niemand eindringen kann und die niemand sehen kann, ein Schmerz, den ich tief in meinem Herzen eingeschlossen habe.

Wenn ich euer Bild vor mir sehe, merke ich, wie sehr ich euch vermisse, meine Gefühle sind durcheinander, und wenn ich mit den Bildern meiner Kinder spreche, dann finde ich erst Trost in mir. Ich schaue rückblickend und sehe meine beiden Kinder, ich schaue vorwärts, sehe meine beiden Kinder, und ich stecke fest. Ich weiß nicht, was ich tun will, was ich denken will, ich will schlafen, aber ich kann nicht schlafen. Ich weine immer nachts. Wohin ich auch gehe, ich kann meinen Schmerz nicht lindern, wohin ich auch schaue, ich sehe meinen eigenen Schmerz. Ich will vergessen, ich kann nicht vergessen, ich will leben, und je länger ich lebe, desto mehr wächst mein Schmerz und meine Sehnsucht. Ich versuche, mich zu trösten, indem ich mir jeden Tag die Bilder meiner Töchter ansehe. Ich versuche, stark auszusehen, weil ich zwei Söhne vor mir habe. Deshalb habe ich keine Kraft mehr, keinen Widerstand mehr. Wir haben 31 Jahre hinter uns. 31 Jahre – das sagt sich so leicht. Ich finde keine Kraft mehr in mir selbst. Ich weiß nicht, es gibt so viel Schmerz in meinem Herzen. Aber dieser Schmerz wird aufhören, wenn ich mit meinen Töchtern wieder vereint bin.

Biographien der Verstorbenen vom Brandanschlag 1993

Saime Genç
Saime, die sehr gerne Alm-Suppe aß, war gerade vier Jahre alt und freute sich sehr, dass sie nach den Sommerferien in den Kindergarten gehen kann. Saime ist die jüngere Schwester von Hülya, weitere Geschwister hatte sie nicht. Saime war ein sehr fröhliches und munteres Kind und liebte es mit anderen Kindern zu spielen, am liebsten im Park Bärenloch, das nur ein paar Schritte von ihrem Haus entfernt war. Saime spielte auch sehr gerne mit ihrer Cousine Güldane Ince, die etwas jünger war als sie. Tagsüber spielte sie gerne mit ihren Puppen und kleidete sie mehrmals an und aus. Sie zog es vor mit den selbst gebastelten Puppen von ihrer Mutter zu spielen. Wenn sie keine Lust mehr auf ihre Puppen hatte, ging sie an die Kleiderkiste und verwandelte sich in eine Prinzessin oder zog Kleidungsstücke und probte Kunststücke. Saime mochte sich also gerne Kleiden und ließ sich dabei von ihrer Mutter gerne fotografieren. Manchmal zog sie auch viel zu große Schuhe an und schaute dann in den Spiegel. Wenn ein Familienbild die Kostümierte Saime sah, freuten sich mit ihr, weil sie immer ein lachendes Gesicht zeigte. Saimes Ur-Großmutter lebte in der Türkei und hatte einen großen Bauernhof, auf dem viele Tiere lebten. Wenn Saime in der Türkei zu Besuch war, durfte sie immer die Tiere füttern. Vor großen Tieren hatte sie Respekt und suchte sich meistens Tiere aus, die nicht größer waren als sie selbst. Manchmal aßen kleiner Lämmer sogar aus ihrer Hand, daran erfreute sich Saime sehr.

Hülya Genç
Hülya ist die Schwester von Saime Genc und wurde nur 9 Jahre alt. Sie hatte dunkel braune Haare und braune Augen. Hülya besuchte die 2. Klasse auf der Yorckstraße in Solingen. Ein paar Wochen später hätte sie ihr Zeugnis erhalten und hätte nach den Sommerferien die 3. Klasse besucht. Soweit kam es nicht. Hülya war ein sehr fröhliches und aufgewecktes Kind und liebte es mit anderen Kindern zu spielen, oft spielte sie auch mit ihrer kleinen Schwester. Immer wenn es möglich war, spielte sie mit Nachbarskindern im Bärenloch, ein wunderschöner Park ganz in der Nähe ihres Hauses. Die Schwestern spielten auch sehr oft mit ihrer Cousine Güldane Ince, die nur drei Jahre war. Hülya mochte zwar auch gerne Suppen, wie ihre Schwester, sie bevorzugte aber lieber Nudeln mit Sauce und liebte Käsebrot mit Marmelade. Wenn sie ihren Lieblingsfilm „Heidi“ zu Ende gesehen hat, spielte sie oft mit dem Nachbarskind Eric und anderen Kindern. Zusammen malten sie mit bunter Kreide bunte Hüpfekästen und schon konnte es losgehen. Wenn sie keine Lust mehr hatten, sprangen sie Seilchen. Hülya mochte Tiere sehr gerne, insbesondere Katzen. Die Ur-Großmutter in der Türkei hatte einen Bauernhof mit vielen Tieren. Hülya und Saime fütterten und sorgten sich um die Tiere, wenn sie ihre Ur-Großmutter in der Türkei besuchten. Hülya kleidete sich auch gerne tagsüber, am liebsten mochte sie aber Kleider, die in die Höhe schlugen, wenn sie sich dabei drehte. Dabei lachte sie laut.

Gülüstan Öztürk
Gülüstan war ein sehr fröhliches Mädchen und gerade mal 12 Jahre alt, als sie ums Leben kam. Sie hatte hell braune lange Haare und braune Augen. Gülüstan hatte die 5 Jahre Grundschulzeit in der Türkei hinter sich und freute sich auf die Weiterführende Schule. Wie alle Kinder hatte auch sie Träume. Ein Traum von ihr war, die Tante Mevlüde Genc in Deutschland zu besuchen. Sie kannte Deutschland nur aus Erzählungen von ihrer Familie. 1993 ermöglichte die Familie Genc ihr diesen Traum. Gülüstan hatte ein Visum für drei Monate erhalten, um in Solingen bei ihrer Tante und ihrer Familie zu bleiben. Gülüstan mochte das Essen der Familie Genc sehr, insbesondere mochte sie das Essen von Saimes und Hülyas Mutter, denn sie kochte das was ihre beiden Töchter gerne aßen. Nudelgerichte mochte Gülüstan unheimlich gerne und half auch beim Zubereiten mit. Sie spielte gerne mit ihren Cousinen Saime, Hülya und Güldane, aber auch mit Nachbarskindern, mit denen sie Seilchen sprang. Zwei Wochen bevor sie wieder zu ihrer Familie in die Türkei zurück musste, starb Gülüstan.

Hatice Genç
Hatice war 18 Jahre alt und über 1,70m groß und besuchte das Friedrich-List-Berufskolleg in Solingen und war gerade dabei ihren Führerschein zu machen. Doch das alles konnte sie nicht beenden. Hatice hatte wunderschöne braune lange Haare und braune Augen, die sie gerne pflegte. Als Hatice endlich so groß war, wie ihre Tante, mit der sie sich super verstand, leihte sie sich Anziehsachen von ihr aus. Sie mochte sich gerne kleiden und achtete auf ihren Stil. In ihrer Freizeit hörte sie, wie andere Jugendliche, Musik, am liebsten laut. Abends gönnte sie sich eine Auszeit und schaute gerne ihre TV-Serien an. „Dallas“ und „Denver-Clan“ konnte sie nicht widerstehen und verpasste ungern eine Folge. Sie mochte aber auch gerne türkische Filme mit ihrer Familie anschauen. Hatice war nicht so wählerisch, was Essensgerichte anging. Jedoch mochte sie Börek und liebte Sarma, am liebsten was ihre Mutter oder ihre Tante zubereitet hat. Sie war der Meinung, dass sie bei Mama und bei der Tante am besten schmecken. In ihrer Freizeit verabredete sie sich gerne mit Freunden oder hielt sich bei ihren deutschen Nachbarn auf. Die Nachbarn waren kinderlos und mochten Hatice sehr gerne und unternahmen auch viel zusammen. Die Nachbarn waren bestürzt als sie erfuhren, dass Hatice Genc beim Brand ums Leben gekommen ist. Unmittelbar danach haben die Nachbarn Solingen verlassen, weil sie den Verlust nicht ertragen konnten.

Gürsün Ince
Gürsün ist 1965 geboren und wurde nur 28 Jahre alt. Sie war eine fröhliche junge Frau und hatte Träume, die sie nicht mehr verwirklichen konnte. Sie besuchte damals die Volkshochschule in Solingen und war ideenreich und kreativ. Gürsün war verheiratet und hatte eine dreijährige Tochter, weitere Kinder hatte sie nicht. Wenn sie aus der Arbeit zurück nach Hause kam, verbrachte sie erst mal Zeit mit ihrer kleinen Tochter Güldane. Sie spielten zusammen oder gingen zu Dritt spazieren und genossen einfach die Natur und das Beisammensein. Güldane Ince wohnte mit ihrem Mann und ihrer Tochter damals im Dachgeschoss auf der Unteren Wernerstraße 81. Als das Haus brannte konnte Gürsün Ince ihre Tochter Güldane Ince das Leben retten. Sie warf ihre Tochter aus dem Fenster, die schwerverletzt überlebte. Gürsün Ince überlebte den Sprung leider nicht.