Mehmet Kubaşık
Dortmund

Lieber Baba,

Ich sitze hier und versuche, Worte zu finden, die all das ausdrücken, was in mir vorgeht, doch es fühlt sich so unvollständig an, wie ein ungeschriebenes Kapitel in unserem gemeinsamen Leben. Du bist nicht mehr hier, aber der Schmerz darüber, dass du einfach so genommen wurdest, bleibt. Der Verlust fühlt sich an wie eine Lücke, die nie ganz geschlossen werden kann.

Ich habe immer wieder daran gedacht, wie du mich ermutigt hast, mutig und selbstbewusst zu sein, und wie du mir beigebracht hast, dass die Welt mehr ist als nur das, was wir direkt sehen. Dein Glaube an mich hat mich in vielen Momenten getragen, und ich versuche, diesen Glauben an mich selbst weiterzutragen, auch wenn du nicht mehr da bist, um mich zu führen.

Es ist schwer zu begreifen, dass du uns auf so grausame Weise entrissen wurdest. Dass jemand, der zu Hass und Gewalt fähig ist, dir das Leben genommen hat, macht mich unendlich traurig und wütend. Ich frage mich immer wieder, warum ausgerechnet du, warum dieser Hass? Du warst immer ein liebevoller Vater, ein Mensch, der seine Familie und die Menschen um ihn herum geschätzt hat. Dein Tod ist nicht nur ein Verlust für uns als Familie, sondern für die ganze Gesellschaft, die jemanden wie dich nicht mehr hat.

Ich trage dich in meinem Herzen, Baba. Du hast mir so viel gegeben. Deine Weisheit, deine Stärke und deine Liebe sind tief in mir verankert. Ich werde dafür sorgen, dass dein Andenken weiterlebt und dass dein Leben nicht umsonst war.

Auch deine Enkelkinder, die du nie kennenlernen durftest, hätten dich so gerne in ihrem Leben gehabt. Ich erzähle ihnen oft von dir – von deinem Humor, deiner Stärke und der Art, wie du immer ein offenes Ohr hattest. Sie wissen, dass du ein besonderer Mensch warst, und ich hoffe, dass sie, auch wenn sie dich nicht persönlich erlebt haben, dich in ihren Herzen tragen werden. Sie sind ein Teil von dir, und ich werde sie in deinem Andenken erziehen, damit auch sie die Erinnerung an dich weitertragen.

Der Schmerz über Dein Verlust und der fehlende Trost, Dich nie wieder in den Armen halten zu können, wird mich bis zu meinem eigenen Tod begleiten. Es ist ein Schmerz, der tief in mir sitzt, der nicht vergeht und der in vielen Momenten der Stille und des Alleinseins lauter wird. Aber auch in diesem Schmerz finde ich die Stärke, weiterzugehen. Für Dich, Baba, für mich und für Deine Enkelkinder. In vielen Momenten, in denen ich das Gefühl habe, dass alles zu schwer ist, erinnere ich mich an Dich, Baba, an Dein Humor, Dein Geduld und die Wärme, die Du ausgestrahlt hast. Ich hoffe, Du kannst irgendwie spüren, wie sehr ich Dich vermisse, Baba, und wie sehr ich Dir danken möchte für all das, was Du mir beigebracht hast.

Du bist nicht vergessen, Baba, niemals.

Wir erinnern an:

Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, Ismail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter

Aufruf zum Tag der Solidarität – In Erinnerung an Mehmet Kubaşık und alle Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.

Mehmet Kubaşık wurde am 4. April 2006 von Mitgliedern des rassistischen und rechtsterroristischen NSU in seinem Kiosk in der Mallinckrodtstraße 190 in der Dortmunder Nordstadt ermordet.

„Es ist ungerecht, dass mein Vater nicht sehen kann, wie seine Enkelkinder aufwachsen. Es ist ungerecht, dass mein Vater nicht sehen kann, wie sein BVB spielt. Es ist ungerecht, dass mein Vater nicht sehen kann, dass es Frühling in seinem Garten wird. Es ist ungerecht, weil er immer noch jeden einzelnen Tag fehlt.“ – Gamze Kubaşık beim Gedenken 2023

Mehmet Kubaşık fehlt in Dortmund, wo er sehr gerne gelebt hat. Nicht nur die Kinder im Viertel kamen immer gerne in seinen Kiosk, den die Familie gemeinsam betrieb. Jedes Jahr Anfang Mai erinnern wir an seinen Geburtstag mit einem Kinderfest auf dem nach ihm benannten Mehmet-Kubaşık-Platz. Wir feiern dort solidarisches Zusammensein und das Leben in der Nordstadt, wo Mehmet Kubaşık eine so große Lücke hinterlassen hat.

Seit dem Tag, an dem Mehmet Kubaşık ermordet wurde, fordert seine Familie Aufklärung. Jahrelang waren sie mit rassistischen Ermittlungen und gesellschaftlicher Empathielosigkeit konfrontiert. Erst nach der sogenannten Selbstenttarnung des NSU entstanden solidarische Netzwerke. Doch die Aufklärung, für die die Betroffenen des NSU-Terrors gemeinsam mit zahlreichen weiteren Angehörigen und Überlebenden von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt an vielen Orten in Deutschland kämpfen, gibt es bis heute nicht.

Noch immer ist nicht geklärt, welche Nazi-Strukturen den NSU in Dortmund und in anderen Städten unterstützten und so die Morde erst ermöglichten.

Noch immer bleiben zahlreiche Akten verschlossen und zentrale Fragen offen.

Noch immer sind viele rechte Anschläge und Morde, die in Nordrhein-Westfalen und an anderen Orten in Deutschland verübt wurden, trotz vieler Hinweise nicht offiziell als solche anerkannt.

Im September 2024 hat das Landeskriminalamt NRW eine Studie veröffentlicht, in der es insgesamt 30 sogenannte „Verdachtsfälle“ erneut im Hinblick auf rechte Tatmotive untersucht hat. Lediglich vier Taten, so etwa der Mord an Thomas Schulz am 28. März 2005, wurden im Nachgang als rechte Verbrechen anerkannt. Viele Überlebende und Angehörige sind vom Ergebnis und dem Verlauf der Studie enttäuscht. Sie wurden erneut von den Behörden nicht ernst genommen. Ihre Perspektiven und Erfahrungen fanden in der Studie keine Berücksichtigung.

Ebenso enttäuschend ist, wie schleppend die von der bis Februar 2025 amtierenden Bundesregierung versprochene Eröffnung eines NSU-Dokumentationszentrums verläuft, das von den Überlebenden und Angehörigen seit Jahren gefordert wird. Ein entsprechendes Gesetz wurde nach ständigen Verzögerungen vor der Bundestagswahl nicht mehr vom Bundestag beschlossen. Ein von den Betroffenen bestimmtes und ausgestaltetes NSU-Dokumentationszentrum unverzüglich einzurichten, bleibt jedoch eine zentrale Forderung.

So erklärten Gamze Kubaşık und Semiya Şimşek im Januar 2025: „Wir fordern ein Dokumentationszentrum, weil der NSU-Komplex nicht abschließend aufgeklärt wurde. Es braucht Orte, um die Geschehnisse aufzuarbeiten, wissenschaftlich zu erforschen und den Austausch zu fördern. Gerechtigkeit kann nur entstehen, wenn wir Räume zum Erinnern schaffen. Wir müssen hinterfragen und reflektieren, was geschehen ist, an die Taten des NSU und das Versagen des Staates erinnern, um unser Land davor zu bewahren, erneut empfänglich für solche Schreckenstaten zu werden. Ein Dokumentationszentrum würde einen Lernraum bieten, um die Geschichte aufzuarbeiten und Empathie für diejenigen zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, die unter Rassismus und rechter Gewalt gelitten haben und immer noch leiden.“

Dies ist umso dringlicher in Zeiten, in denen die Abgrenzung zu extrem rechten Positionen immer deutlicher aufgegeben wird und dabei rassistische sowie antisemitische Politiken Aufwind erfahren. Diesen gesellschaftlichen Entwicklungen setzen wir eine solidarische Perspektive einer Gesellschaft der Vielen entschlossen entgegen.

Wir erinnern und wir kämpfen.

Bündnis Tag der Solidarität – Kein Schlussstrich Dortmund